Mikrobiom - Einführung

Foto: Human cells infected by Shigella. Source: Prof. Dr. Thomas A. Kufer, Dept. Immunology, Institute of Nutritional Medicine, University of Hohenheim

Das Mikrobiom im weiteren Sinne umfasst die Gesamtheit der einen Organismus besiedelnden Mikroorganismen, das sind Bakterien, Archaeen, Viren und eukaryotische Mikroben. Die Zahl mikrobieller Einzeller steht in einem geschätzten Verhältnis von ca. 10:1 zu den Körperzellen eines erwachsenen Menschen. Diese mikrobiellen Ökosysteme, die als Biofilme vorwiegend den Gastrointestinaltrakt aber auch andere Körperhöhlen, Schleimhäute und ganz generell den Körper des Menschen besiedeln, beeinflussen die Funktionen des menschlichen Organismus nachhaltig.

Im engeren Sinn versteht man unter dem Mikrobiom die gesamte genetische Information von Mikroorganismen in einem Wirtsorganismus. Diese Begriffsauslegung grenzt sich deutlich vom Begriff der Mikrobiota ab und wird Joshua Lederberg zugeschrieben. Er postulierte nach Beendigung des Humangenomprojekts, dass molekulargenetische Daten allein nicht aussagekräftig seien, sondern auch die Mikrobiota des Menschen bei der Beurteilung des Gesundheitsstatus herangezogen werden müssen, da sie als Teil des menschlichen Stoffwechselsystems die Funktionen des menschlichen Organismus nachhaltig beeinflussen.

Das Mikrobiom des Menschen

Die Besiedlungen des menschlichen Organismus mit Mikroorganismen erfolgt zumeist symbiotisch oder kommensal, d.h. zwischen dem Menschen als Wirt und seiner Mikroflora entwickeln sich Beziehungen zum gegenseitigen Nutzen oder die Besiedlung erfolgt neutral, d.h. ohne sichtbaren Vorteil für beide Seiten. Die symbiotischen Beziehungen sind Folge einer langen evolutionären Entwicklung unseres Stoffwechsels, der durch die natürlichen Umweltbedingungen und kulturelle Besonderheiten, d.h. epigenetisch, geprägt ist .

Abbildung: Facharztwissen 

 

Forschung

In den letzten 10 Jahren ist die Zahl der Publikationen zur Mikrobiom-Forschung exponentiell gestiegen. Trotz intensiver Forschung ist das Mikrobiom aber nur ansatzweise verstanden. Zahlreiche Initiativen haben sich ausgehend vom im Dezember 2007 vom National Institute of Health (NIH) in den USA gestarteten Human Microbiome Project zur Sequenzierung aller Genome der Mikroorganismen, die den Menschen besiedeln, formiert. Die Untersuchungen fokussierten dabei weitgehend auf den Mund-, Rachen- und Nasenraum, die Haut, sowie den Verdauungs- und Urogenitaltrakt. Es wurde eine kostenlose Datenbank eingerichtet, um die Zusammenarbeit zwischen den Gruppen zu erleichtern.
Zunehmend kamen weitere, regulative Aspekte der den menschlichen Organismus besiedelnden Mikroorganismengemeinschaften in den Fokus der Forschung.

Funktionen des Mikrobioms im gesunden Organismus

Ein diverses, ausbalanciertes mikrobielles System im Verdauungstrakt unterstützt das komplexe Stoffwechselsystem des Menschen, ist an der Entwicklung des körpereigenen Abwehrsystems beteiligt, unterdrückt pathogene Keime und schützt so vor Krankheiten. Kommt es zu einem Ungleichgewicht oder einer gestörten Kommunikation zwischen den körpereigenen Zellen und seinen mikrobiellen Bewohnern, kann das Mikrobiom die Entstehung von Krankheiten begünstigen oder gar auslösen, z.B. durch Freisetzung von Toxinen oder Auslösung von Entzündungen.

Verschiedene Faktoren können Störungen der Mikrobiom-Homöostase herbeiführen, z.B. Stress, verändertes Ernährungsverhalten, Medikamente, Umweltfaktoren, aber auch genetische Veranlagungen, die im Verlaufe der Individualentwicklung manifest werden. Genetische Defekte im NOD2-Gen z.B. können zu einer Disposition für das Morbus Crohn Syndrom führen, einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung. Dieses Gen reguliert normalerweise die Zusammensetzung des Darm- Mikrobioms durch die Bildung von sogenannten Defensinen, das sind kleine, 33–47 Aminosäuren lange Peptide, die in allen tierischen Organismen und höheren Pflanzen der Abwehr von mikrobiellen Erregern, aber auch Pilzen und Toxinen dienen. Dieser Abwehrmechanismus unterliegt andererseits aber auch einer Regulation durch Bakterien – Mikrobiom und Nod2-Gen-Aktivität kontrollieren sich damit wechselseitig. Eine wichtige Rolle für die Aufrechterhaltung eines gesunden Darmmilieus scheint die Schleimhaut des Darms (Mukosabarriere) zu spielen. Läsionen in dieser Barriere ermöglichen das Eindringen von Krankheitserregern, die bei Überreaktion des Immunsystems zu Entzündungsreaktionen und daraus resultierenden Krankheitsbildern führen.  

Bis heute sind eine Vielzahl Mikrobiom-induzierter oder beeinflusster Krankheiten beschrieben:

KrankheitsbildReferenz
AdipositasREVIEW: Postgrad Med J. 2016 May und Referenzen darin ;92(1087):286-300
J Intern Med. 2016 Apr 12.
J Anim Physiol Anim Nutr (Berl). 2016 Jun;100(3):478-84.
Allergie und AsthmaCurr Opin Allergy Clin Immunol. 2016 Aug;16(4):390-5. und Referenzen darin
AngstpsychosenBiol Psychiatry 2009;65:263–7.
Neurogastroenterol Motil 2011;23:255–64
AutismusCell 2013;155:1451–63.
J Pharmacol 2011;668(Suppl 1):S70–80.
Anaerobe 2010; 16:444–53.
J Psychiatr Res 2015;63:1–9.
AutoimmunkrankheitenDNA Cell Biol. 2016 Jul 27. [Epub ahead of print]
J Clin Invest. 2011 Mar 1;121(3):966-75
Colitis ulcerosaMucosal Immunol. 2013 Jul 31. doi: 10.1038/mi.2013.55.
Diabetes Typ I BMC Med 2013;11:46.
Diabetes 2013;62:1238–44.
PLoS ONE 2013;8:e71108
Nature 2012;490:55–60
ISME J. 2011 Jan;5(1):82-91
PLoS ONE 2011;6:e25792. doi:10.1371
DepressionBiol Psychiatry 2013;74:720–6
Neurogastroenterol Motil 2014;26:1155–62.
Morbus CrohnJ Crohns Colitis. 2013 Dec 1;7(11):e558-68
PLoS One. 2013 Oct 2;8(10):e76962
Proc Natl Acad Sci U S A 2008; 105:16731–16736
Proc Natl Acad Sci U S A. 2005 Dec 13;102(50):18129-34
Nekrotisierende EnterokolitisISME J (2009) 3:944–54.
PLoS One (2011) 6:e20647.
Acta Paediatr (2012) 101:1121–7.
Microbiome (2013) 1-13 und 14-20
PLoS One (2013) 8:e83304
Chronisch-entzündliche DarmerkrankungenCell Host Microbe (2014) 15:382–92
PLoS ONE 2013;8
PLoS One (2012) 7:e39242
Am J Gastroenterol (2012) 107:1913–22
Influenza-InfektionenCell Host Microbe (2014) 15:382–92
PLoS ONE 2013;8
PLoS One (2012) 7:e39242
Am J Gastroenterol (2012) 107:1913–22
KrebsNat Rev Cancer 2013;13:759–71.
Proc Natl Acad Sci USA 2013;110:9862–7.
Cell Mol Immunol. 2011 Mar;8(2):110-20;
Rev Oncol Hematol. 2009;70:183–194
Mutat Res. 2007 Sep 1;622(1-2):58-69
Parkinson-KrankheitMov Disord 2015;30:350–8
Rheumatoide ArthritisImmunity. 2016 Apr 19;44(4):875-88. doi: 10.1016/j.immuni.2016.03.013.
FEBS Lett. 2014 Nov 17;588(22):4244-9
Therapieansätze und Perspektiven

Eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung ist aus präventiver Sicht wichtigster Faktor für ein resilientes, d.h. störungsunanfälliges Mikrobiom. Ist die Zusammensetzung des Mikrobioms oder dessen Wechselspiel mit dem menschlichen Organismus jedoch gestört, können therapeutische Ansätze zur Restauration einer gesunden Darmflora, wie z.B. die Stuhltransplantation bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, probiotisch-metabolische Therapien oder eine gezielte Zuführung verkapselter Mikroorganismen helfen.

Stand 2017